Review (BD): Disconnect

Sieht so "Shortcuts 2.0" aus? Und was bedeutet Verantwortung für das eigene Handeln im digitalen Zeitalter? Henry Alex Rubin setzt sich in Disconnect kritisch mit dem digitalen Überbau unseres Alltags auseinander. Das Ergebnis ist spannend und überraschend ...

Disconnect besteht aus Episoden dreier Handlungsstränge, bei denen schließlich offenbart wird, dass alle Protagonisten miteinander verbunden sind. Diese Konstruktion ist eigentlich nicht neu: Shortcuts oder L. A. Crash sind ähnlich aufgebaut. Es gibt aber einen wichtigen Unterschied: Die Verbindung ist "online" begründet. Das "analoge" Leben aller Beteiligten hinkt die meiste Zeit hinterher. Mit realen Folgen eines Paralleluniversums aus sozialen Netzwerken, Sex-Cams und Identitätsdiebstahl konfrontiert, weiß das echte Leben nicht, wie ihm geschieht.
Deshalb ist Disconnect so etwas wie Shortcuts 2.0 und nicht zuletzt der Versuch einer Antwort auf die Frage, was es heute heißt, Verantwortung im Kontakt mit anderen zu übernehmen.

Jason (Colin Ford) und sein Schulfreund Frye (Aviad Bernstein) bringen den Außenseiter Ben (Jonah Bobo) dazu, ein intimes Bild an das Fake-Profil einer imaginären Jessica zu senden, das sie dann in der Schule allen zugänglich machen. Ben stürzt in tiefe Verzweiflung und bleibt nach einem Selbstmordversuch im Koma.

Reporterin Nina (Andrea Riseborough) stößt bei ihrer Recherche zu Internet-Sex-Angeboten mit Minderjährigen auf Kyle (Max Thieriot). Sie scheitert bei dem Versuch, gleichzeitig seine Retterin zu sein, ohne ihre eigene Lebenswelt zu verlassen oder zu verändern.

Cindy (Paula Patton) und Derek (Alexander Skarsgård], noch als Eric in True Blood in gänzlich anderer Erinnerung) haben ihr Kind verloren. Unfähig zur Kommunikation miteinander, sucht Cindy Trost bei einem Chatpartner. Als plötzlich alle Kreditkartenkonten gesperrt sind, scheint festzustehen, dass Cindy dabei Opfer eines Identitätdiebstahls geworden ist. Finanziell völlig am Ende und mit dem Problem allein gelassen, versuchen sie, den Täter selbst zu stellen - und erwischen doch den falschen Mann.

Henry Alex Rubin (Regie) und Andrew Stern (Drehbuch) gelingt es in Disconnect, das virtuelle Leben Jugendlicher wie Erwachsener in seiner Direktheit, seiner Stille und seinem Autismus als sozialen Raum begreifbar zu machen. Chats und Postings erscheinen als Text im Bild und sind spannend inszeniert. Die Bildsprache hat etwas Pseudo-Dokumentarisches.

Interessant ist, wie verschieden die Arten sind, in der Mütter und Väter auf die jugendliche Lebenswelt reagieren. Völlig offensichtlich ist, dass für sie die Regeln und Bedeutungen der Cyber-Kommunikation nicht nachvollziehbar sind: Ihre Versuche, sie zu verstehen - so unterschiedlich und gut gemeint sie sind - scheitern. Agieren können und müssen sie in der realen Welt.

Die Erkenntnis, dass alle miteinander verbunden sind, wird für den Zuschauer schnell offenbar. Sie ist hier zugleich bedrohlich und hoffnungsvoll. Beim Multi-Showdown treffen Menschen, die zunächst nur wenig greifbar miteinander vernetzt waren, real aufeinander. Während eines quälend langen, ganz und gar entschleunigten und eindrucksvoll fotografierten Momentes ist erkennbar, dass jede der Geschichten sich dabei auf dramatische Weise zuspitzt und dass die Konfrontation des Virtuellen mit dem Realen mehrfach in der Tragödie zu enden scheint. Dass dann doch alle haarscharf noch einmal davonkommen, tut gut.

Am Ende gibt es keinen Zweifel, was wirklich zählt. Deshalb macht diese Geschichte, trotz allem, ein bisschen glücklich. Und eine Antwort auf die Frage nach der Verantwortung hat sie auch: Das Private wird überleben, wenn wir im Öffentlichen an den Werten, die uns wichtig sind, festhalten. Nicht mehr und nicht weniger ...

Die Arthaus Blu-ray-Edition liefert in den Extras Gespräche mit Regisseur Henry-Alex Rubin und den überzeugend agierenden Jason Bateman, Alexander Skarsgård, Paula Patton und Max Thieriot, daneben die Trailer und als Zugabe ein Wendecover.

12. Juni 2014, von Uwe 'UMK' Kawohl