Interview mit Sönke Wortmann zum Kinostart von FRAU MÜLLER MUSS WEG

Der renommierte Regisseur Sönke Wortmann widmet sich erneut einem Herzensprojekt: Nachdem er den Stoff bereits fürs Theater inszenierte, bringt er nun mit FRAU MÜLLER MUSS WEG eine Komödie über Elternabende in die deutschen Kinos. Als Verstärkung holte sich der Regisseur von Kassenhits wie Das Wunder von Bern oder Der bewegte Mann mit Lutz Hübner einen Theaterspezialisten als Drehbuchschreiber ins Boot. Bevor der Film an diesem Donnerstag (15.01.) in den deutschen Kinos startet, hat uns Sönke Wortmann vorab Rede und Antwort über seine bittersüße Abrechnung mit dem Bildungssystem in Deutschland gestanden.

Warum wollten Sie FRAU MÜLLER MUSS WEG im Theater inszenieren?

Es war ja keine ganz neue Erfahrung für mich. Ich hatte bereits zwei Stücke am Düsseldorfer Schauspielhaus inszeniert, die Welturaufführung von Bullets Over Broadway und ein paar Jahre später Der Krüppel von Inishmaan von Martin McDonough. Das macht mir Spaß, weil es eine ganz andere Übung ist, man als Regisseur ganz anders gefordert ist. Mit Stefan Fischer-Fels, dem Intendanten des Berliner GRIPS-Theaters, stand ich schon länger im Kontakt. Es war nur nicht ganz einfach, den passenden Stoff zu finden. 2010 schickte er mir das damals neue Stück von Lutz Hübner zu, FRAU MÜLLER MUSS WEG. Das sollte seine Premiere in Dresden feiern, aber gleich darauf stand bereits die Inszenierung im GRIPS Theater im Raum. Ich las das Stück und war sofort begeistert.

Was hat Ihnen daran gefallen?

Ich glaube, dass es ein Stoff ist, der einen Nerv trifft. Wenn mich Leute fragen, was ich gerade vorhabe, und ich ihnen erzähle, dass ich an FRAU MÜLLER MUSS WEG arbeite und der Untertitel Eine Komödie über einen Elternabend ist, erhalte ich immer sofort eine Reaktion: Ach, das wurde aber auch mal Zeit! Offenbar ist der Leidensdruck bei diesem Thema sehr hoch. Meine Erfahrung ist, dass die Menschen das riesige Bedürfnis haben, sich auszutauschen und mitzuteilen, nachdem sie das Stück oder den Film gesehen haben. Und letztlich will man doch genau das als Regisseur: Geschichten erzählen, die etwas auslösen beim Zuschauer, die ihn bewegen und beschäftigen.

Wann wussten Sie, dass Sie aus dem Stück auch einen Film machen wollten?

Gleich beim ersten Lesen. Mein Partner Tom Spieß von Little Shark und ich haben uns auch umgehend um die Verfilmungsrechte bemüht. Das ging im Grunde Hand in Hand mit der Theaterarbeit. Als das Stück im GRIPS Theater Premiere feierte, steckten wir bereits mitten in der Ausformulierung des Drehbuchs.

Aber es ist ein vergleichsweise kleiner Film, wenn man sich Ihre Filmographie ansieht.

Ja, und vergleichsweise kleine Filme habe ich immer schon sehr gerne gemacht. Kleiner Film, großes Thema. Es war auch eine herrliche Arbeit, sehr konzentriert und auf den Punkt.

War es ein Vorteil, dass Sie den Stoff bereits im Theater inszeniert hatten?

Auf jeden Fall. Ich kannte ja den Text in- und auswendig, viele Dialoge waren mit den GRIPS-Schauspielern schon genauestens herausgearbeitet. Gewöhnlich lasse ich meinen Darstellern viel Raum, bestehe nicht unbedingt auf jede Zeile. Aber hier war alles bereits in meinem Kopf, ich musste es einfach nur abrufen und umsetzen. Ich will niemanden in seiner Kreativität einschränken, aber ich glaube, letzten Endes waren die Schauspieler nicht allzu sehr frustriert, mit einem Regisseur zu arbeiten, der genau weiß was er will. Wenn man sich eines Gesellschaftsthemas annimmt, besteht oft die Gefahr der Didaktik. FRAU MÜLLER MUSS WEG beschäftigt sich mit dem Schulwesen in Deutschland, mit Erziehung, aber auch mit den immer noch bestehenden Ressentiments zwischen Ossis und Wessis, wirkt aber nie didaktisch. Das sollte der Film auch auf keinen Fall sein, und das war auch einer der Gründe, warum ich das Stück so gerne gelesen habe. Da wird nicht doziert, alles ergibt sich homogen aus den Figuren heraus, die sich im wahren Leben wahrscheinlich nicht miteinander abgeben würden, hier aber in einer Art Schicksalsgemeinschaft gezwungen sind, sich miteinander auseinanderzusetzen. Lutz Hübner ist nicht von ungefähr der nach Goethe und Shakespeare meistgespielte Autor auf deutschen Bühnen. Er trifft den Nagel wirklich auf den Kopf.

Wollten Sie ihn deshalb auch für das Drehbuch des Films gewinnen?

Niemand kennt das Stück besser als er und seine Frau Sarah Nemitz, die seine ständige Schreibpartnerin ist. Ich hatte ein gutes Gefühl, ihn das Drehbuch schreiben zu lassen, auch wenn er noch nie fürs Kino gearbeitet hatte. Es war eine sehr gute und intensive Zusammenarbeit. Wir haben lange überlegt und viel daran gefeilt. Das Stück spielt ausschließlich im Klassenzimmer. Natürlich stand fest, dass wir den Stoff öffnen mussten. Die entscheidende Frage war aber: Wie sehr? Es gab Fassungen, da erzählen wir die komplette Vorgeschichte des Tages. Es gab Fassungen, in denen wir im Verlauf der Handlung immer wieder nach draußen geschnitten haben, und sei es nur für eine Totale der Schule. Das haben wir wieder verworfen. Jetzt treffen sich die Eltern vor der Schule, und wenn sie erst einmal im Gebäude sind, bleiben sie auch da drin. Das erhöht den Druck im Kessel gewaltig.

Die Titelfigur bleibt über weite Strecken unsichtbar.

Dafür haben wir uns auch erst im Verlauf der Arbeit entschieden. Klar war nur, dass Frau Müller ihren ersten großen Auftritt am Anfang und den zweiten am Ende haben würde. Aber es gab auch Fassungen, in denen wir im Verlauf der Handlung immer wieder auch zu ihr schneiden wollten. Auch hier hatten wir die Erkenntnis, dass es am sinnvollsten ist, sie nicht mehr zu zeigen, sondern ausschließlich bei den Eltern zu bleiben. Weil sie mit ihren Worten die eigentliche Handlung und die Konfrontation der Eltern angestoßen hat, ist sie im Grunde ja doch irgendwie immer anwesend. Aber jetzt müssen es die Eltern alleine miteinander ausmachen.

Hatten Sie ein Vorbild für FRAU MÜLLER MUSS WEG?

In der Tat. Vor meinem geistigen Auge habe ich immer John Hughes Klassiker Breakfast Club gesehen, der eine ähnliche Prämisse hat, nur dass es bei ihm eine Gruppe von Schülern ist, die in einer Schule festsitzt. Ich wollte mich sogar ganz unmittelbar vor diesem Film verneigen: Der Chor am Ende des Films sollte eigentlich Don’t You (Forget About Me) von den Simple Minds singen, der auch in Breakfast Club zu hören ist. Letztlich hat aber Humperdincks Abendsegen besser gepasst.

15. Januar 2015, von Caro 'Caro N.' Nix