Review (Kino): Tango Libre

Mit Tango Libre zeigt Regisseur Frédéric Fonteyne seit Juni eine bewegende Tragikomödie über ein Geflecht aus Leidenschaft, Begierde, Neid und Eifersucht. Das Gespann der vier perfekt aufeinander abgestimmten Hauptfiguren entfacht einen ergreifenden und dynamischen Tango – auch ohne viele Tanzschritte...

Der überkorrekte Gefängniswärter Jean-Christophe (Francois Damiens), kurz JC, versinkt in dem Alltagstrott seiner Arbeit. Er ist geübt in der Rolle des Beobachters und verliert ungern die Kontrolle. Daher sind ihm emotionale Bindungen fremd. Das einzig „Aufregende“ in seinem Leben ist der wöchentliche Tangokurs, in dem er eines Tages auf Alice (Anne Paulicevich) trifft. Mit ihr, beginnt er erstmals den Tango mit anderen Augen zu sehen… Er ist verwirrt, als er Alice schließlich im Besucherraum trifft, denn sie besucht gleich zwei Insassen: ihren Ehemann Fernand (Sergi López) und ihren Geliebten Dominic (Jan Hammenecker). JC fühlt sich zu der undurchschaubaren und unabhängigen Frau hingezogen. Immer mehr beginnt er, an seinen Prinzipien zu zweifeln und stolpert in ein Geflecht aus Leidenschaft, Eifersucht und Verrat.

JC ist der typische Kopfmensch. In seinem Job ist er zuverlässig, routiniert und der perfekte Beobachter. Emotional betrachtet ist er jedoch nüchtern, kontrolliert, fast unfähig. Seine einzige Bindung wird sarkastisch zu einem Goldfisch aufgezeigt. Dargestellt wird sein Alltag in grauen und gedeckten Farben, die eine öde und triste Grundstimmung bewirken. Erst der Tangokurs belebt metaphorisch mit wärmeren Farben seinen Trott. Doch auch beim Tanzen ist JC sehr konzentriert und kontrolliert, es fällt ihm schwer, aus seiner Haut zu gelangen. Die Rolle wird von Francois Damiens sehr authentisch verkörpert. Er wirkt oft unbeholfen und steif, gefangen in seinem Kontrollzwang und seiner emotionalen Unfähigkeit.

Neben dem Tango spielt das Motiv des Sehens eine zentrale Rolle. JC ist Gefängniswärter, dessen Aufgabe es ist, zu beobachten und Menschen einzuschätzen. Im besten Fall ist er unsichtbar. Dies ändert sich jedoch, als der Protagonist aus dem Verborgenen heraustritt, weil er eine Frau begehrt, die wiederum von einem anderen Mann begehrt wird. Es geht um verborgene, verbotene Blicke, um Blicke zwischen zwei Vätern und einem Sohn, um Blicke eines Mannes, der erkennen muss, dass er seine Frau mit anderen teilen muss. Regisseur Frédéric Fonteyne fasst dies zusammen: „Oder anders ausgedrückt geht es um die Zurückweisung des Blickes ab dem Moment, wo der Blick ein begehrender wird.“ Im Mittelpunkt von Tango Libre stehen nicht das Offensichtliche, das Äußere, sondern das Innenleben der Figuren, Bedürfnisse, Wünsche und Ängste.

Auch beim Tango geht es um etwas Verborgenes. Es scheint „mir unmöglich zu sein das zu filmen was, sich zwischen zwei Menschen beim Tanz abspielt“, sagt Fonteyne. Weniger durch viele Tanzszenen, sondern durch plötzliche Beschleunigungen und das Verharren des Erzähltempos sowie durch akzentuierte Dialoge entsteht ein sehr rhythmischer Film. Die spürbare Dynamik zwischen den vier Hauptfiguren wird hauptsächlich durch ihre ausdrucksstarke Körpersprache und ihre Blicke deutlich – wie beim Tango. Dabei dient Alice als Objekt der Begierde, um dessen Gunst drei Männer wetteifern. Kernstück des Films ist das dynamische Zusammenspiel zwischen Francois Damiens, Anne Paulicevich, Sergi López und Jan Hammenecker. Sogar der junge Zacharie Chasseriaud, der Alices Sohn Antonio mimt, zeigt, dass er mit dem Spiel der Erwachsenen mithalten kann.

Obwohl sich Tango Libre mit sehr ernsten und elementaren menschlichen Konflikten auseinandersetzt, werden diese auch mit schwarzem Humor und Sarkasmus aufgearbeitet, zu dem vor allem Francois Damiens einen Großteil beiträgt. Eine stimmige Balance zwischen Ironie und erdrückender Ernsthaftigkeit erschafft ein überzeugendes Gefühlschaos. „Die Tragikomödie operiert mit kontrolliertem Abgleiten, weil sie permanent auf der spiegelglatten Ebene des Paradoxen entlangschlittert“, fasst Fonteyne zusammen.

Nicht grundlos räumte Tango Libre den „Spezialpreis“ der Orizzonti-Jury auf dem Internationalen Filmfestival in Venedig 2012 sowie den „Großen Preis“ auf dem Warschau Filmfestival 2012 ab.

Fazit

Wer einen spritzigen und frischen Tanzfilm erwartet, wird von dem Film enttäuscht sein. Tango Libre überzeugt stattdessen mit einem funktionierenden Vierergespann, das das Thema des Tangos in seinem Konflikt um Begierde, Neid und Verrat dynamisch, überzeugend und mitreißend umsetzt.

28. Juni 2013, von Katharina 'Katharina S.' Späth

Tango Libre

Kino

Websitetangolibre-derfilm.de
Release13.06.2013
GenreKomödie Drama
DistributorMovienet