Review (Kino): Lügen und andere Wahrheiten

Bissig aber menschlich: Das herrlich überspitzte Schauspiel-Quintett von Lügen und andere Wahrheiten mogelt sich mit kleineren und größeren (Not-)Lügen durchs Leben, weil die Wahrheit meistens doch eher unangenehm und schmerzhaft sein kann.

„Ich möchte mit euch über Wahrheit sprechen“, beginnt Florian David Fitz alias Yoga-Lehrer Andi den Film und schaut direkt in die Kamera, durchbricht die vierte Wand und appelliert an den Zuschauer. Denn jeder kennt die kleinen Flunkereien des alltäglichen Lebens: Da gibt es kleine Notlügen, die man aus Höflichkeit äußert, Halbwahrheiten, um andere nicht zu verletzen, oder aber ganze Lebenslügen, an denen man festhält, um sich nicht mit tiefgreifenden Problemen auseinandersetzen zu müssen.

In Lügen und andere Wahrheiten nehmen es die fünf Hauptfiguren nicht so ganz ernst mit der Wahrheit: Der Immobilienmakler Carlos (Thomas Heinze) verschweigt seiner Verlobten, der kontrollsüchtigen Zahnärztin Coco (Meret Becker), lieber den leeren Kontostand, um unangenehmen Fragen aus dem Weg zu gehen. Auch Cocos beste Freundin Patti (Jeanette Hain) hält ihre Affäre mit dem Yoga-Lehrer Andi (Florian David Fitz) geheim, da sich Coco sowieso kaum noch für sie interessiert. Und da Zahnarzthelferin Vera (Alina Levshin) unangenehmen Besuch von ihrem Bruder erhält, kommt ihr das dunkle Geheimnis von dem impulsiven Andi gerade recht…

Eifersucht, Misstrauen, Egoismus - unvermittelt wird der Zuschauer in das komplizierte Leben der Fünf hineingeworfen. Aus Angst, Fehler vor sich selbst und den Freunden eingestehen zu müssen, versuchen sie krampfhaft, ihre schöne Fassade aufrecht zu erhalten. Durch den fehlenden Wissensvorsprung über die Motivationen der Figuren neigt auch der Zuschauer schnell dazu, voller Vorurteile und Misstrauen das Verhalten der Fünf zu verurteilen und zu hinterfragen. Man sieht eben nur das, was man sehen will.

In den facettenreichen Figuren kann jeder etwas von sich selbst wiederfinden: Die überkorrekte Zahnärztin (Meret Becker), die von ihrer Eifersucht und Unsicherheit ins Verbissene getrieben wird und ihre Unzufriedenheit an anderen auslässt; der Verlobte (Thomas Heinze) mit Geldproblemen, der sich auf alle erdenklichen Arten verbiegt, um den Erwartungen seiner baldigen Braut zu entsprechen; die erfolglose Künstlerin (Jeanette Hain), die sich vernachlässigt fühlt von ihrer besten Freundin und ihrem Geliebten; der impulsive Draufgänger (Florian David Fitz), der versucht, seine emotionale Überforderung mit Yoga abzulenken; und die mittellose Angestellte (Alina Levshin), die von allen finanziell nur hingehalten wird und aus der Not heraus alles für das nötige Kleingeld machen muss.

Trotz der ernsten Thematik schafft Regisseurin Vanessa Jopp die Balance zwischen Komik und Tragik. Besonders durch die Mise-en-Scène und den pointierten Schnitt werden Situationen ins Komische überspitzt, ohne sie aber ins Lächerliche zu ziehen. So klammert sich Coco in ihrem Brautkleid - ausstaffiert wie ein Burgfräulein und angeschlossen an einen Lügen-Detektor - an den letzten Backstein, der ihre mühsam aufrechterhaltene Fassade langsam zum Einsturz bringt.

Nach und nach beginnt jede Fassade zu bröckeln und die Wahrheit kommt ans Licht: „Ich will es lieber nicht wissen, damit ich nicht diese Bilder im Kopf habe!“, entgegnet Thomas Heinze alias Carlos seiner Verlobten beim Streit über mögliche Affären. Denn wenn man die Wahl hat zwischen der hässlichen Wahrheit und der umschmeichelnden Lüge, entscheidet man sich lieber für die schöne Illusion, solange es gut geht. Auch die Figuren müssen erfahren, dass die Wahrheit schmerzhaft sein kann, aber auch befreiend.

Der Film lebt von seinen bissigen, aber ehrlichen Dialogen. Wenn erst einmal die schöne Maske von anderen heruntergerissen wurde, sind die Figuren konsequent und nehmen kein Blatt mehr vor den Mund. Der ein oder andere Zuschauer mag sich beschämt fragen „Das hat der jetzt nicht wirklich so gesagt, oder?“ Aber gerade darum geht es: Was passiert, wenn einfach jeder einmal das sagt, was er denkt und nicht auf beschönigende Notlügen zurückgreift? Dabei gab die Regisseurin dem Schauspiel-Quintett viel Spielraum: Sie ließ sie improvisieren und daraus resultierten sehr authentische Gespräche, in denen sich jeder wiederfinden kann. Man lernt, dass Ehrlichkeit und eine Entschuldigung durchaus Verständnis hervorrufen kann. Denn seien wir mal ehrlich: Wer lügt bitte nicht?

Fazit

Der Impro-Film Lügen und andere Wahrheiten lebt durch seine bissigen, aber ehrlichen Dialoge über Notlügen, Halbwahrheiten und ganze Lebenslügen. Gekonnt balanciert Regisseurin Vanessa Jopp dabei ihr erstklassiges Schauspiel-Quintett zwischen Tragik und Komik.

11. September 2014, von Katharina 'Katharina S.' Späth