Review (DVD): Nicht böse sein!

"Nicht böse sein!" ist ein Low Budget Dokumentarfilm von drei suchtkranken Männern, die gemeinsam in einer kleinen Berliner Wohnung leben. Wolfgang Reinke, der in diesem Projekt Regie führte und der Kameramann Gines Olivares konnten über mehrere Monate einen seltenen Einblick von der Lebenswelt der drei Männer gewinnen. Im Laufe des Films erhält der Betrachter einen Einblick ohne Grenzen und Scham. Man kann die erfolgreich aufgebaute Vertrauensbasis zwischen dem Zwei-Mann Filmteam und den Protagonisten miterleben, sodass selbst Szenen wie der knallharte Heroinkonsum gefilmt werden konnten.

Alle drei leben von Hartz 4 und versuchen, ihr Leben trotz schwieriger Sozialisation auf die ein oder andere Art zu meistern.

Entziehungskuren wurden nie erfolgreich abgeschlossen, aber die Hoffnung, abstinent zu leben, wurde zumindest während der Dreharbeiten nicht aufgegeben.

Der Alltag, die sehr beengte Wohnsituation, die Rauschexzesse, Wutausbrüche und unendliche Trauer werden dem Betrachter ehrlich und knallhart aufgezeigt.

Dabei kamen viele beachtliche herzzerreißende und für meiner einer auch lustige Momente raus.

Hauptaugenmerk wurde auf J.W. Sieger (Wolfgang), das Oberhaupt der 3-Männer-WG, gelegt. Er hat die Gabe, seine Gefühle, Ã"ngste und Wünsche seit Kindesalter auf Papier zu bringen. Je älter er wurde, desto wichtiger wurde diese Möglichkeit des Austauschs. Dies geht aber nur im nüchternen Zustand. All seine Notizen werden von ihm fein säuberlich abgetippt und katalogisiert.

Von seinem 369 € Hartz 4 Geld spart er sich so viel zusammen, dass er in einer kleinen, alten Buchbinderei seine Gedichte einbinden lässt. Bisher hat er drei Bücher mit mehreren hundert Seiten voller Gedichte und Gedanken verfasst und einbinden lassen, worauf er sehr Stolz ist!

Die anderen beiden Mitbewohner, Dieter und Andi sind zwei Kerle, die bei Wolfgang unter kommen und dies zum Teil für lau. Beide ertragen die Launen und Wutausbrüche von Wolfgang, wenn er mal wieder einen übern Durst getrunken hat. Dieter droht eine 100 tägige Haftstrafe und Andi träumt von einem Leben ohne Drogen und von einer schönen Wohnung.

Alle Räume sind aufgeteilt, wirken sehr schmuddelig. Dennoch wird ab und an mal auch richtig gesaugt und gewischt. Dieter schläft in der Küche, Andi im Bad und Wolfgang in seinem Schlafzimmer.

Im Laufe der Jahre wurde daraus ein eingespieltes Team, welches auf sich gegenseitig achtet, besonders wenn jemand zu viel konsumiert hat. Da sagt ein Andi auch mal über Wolfgang "Ich kann ihn nicht verhungern lassen." Denn selbstverständlich, herrscht in dieser Männer-WG nicht nur Friede, Freude Eierkuchen, sondern es wird auch über banale Dinge wie einen geklauten Pulli von Wolfgang ewig lang diskutiert, geflucht und Vorwürfe gemacht. Nachdem eine Bohrmaschine und weitere Kleinigkeiten vor Wut aus dem Fenster raus geschmissen wurden, taucht der Pulli unter Dieters Kleinkram wieder auf – Meine Meinung: wenn man keine anderen Probleme hat, dann sucht man halt mal nach einem Pulli… - muss auch mal sein! Die drei haben sich gefunden und gelernt Rücksicht zu nehmen, denn "Kein Mensch lebt doch gern alleine!"

Ergreifend wird es dann, wenn alle drei von Ihrer Kindheit sprechen und man nachvollziehen kann, wie es zu diesem Leben gekommen ist.

Im großem und Ganzen ist es eine interessante, aufklärende, ergreifende und humorvolle Dokumentation über das Leben in Berlin im Sog der Sucht.

In den Extras gibt es ein Interview mit Wolfgang und Dieter, welches einige Zeit nach den Ereignissen in dem Film durchgeführt wird, was man sich definitiv nicht entgehen lassen sollte. Darin erfährt man, dass Andi es tatsächlich geschafft hat, in eine eigene Wohnung zu ziehen, aber wohl weiter abgerutscht ist und noch ein paar Gute bzw. schlechte Neuigkeiten.

24. Juli 2011, von Carmela 'Carmela N.' Natale