Review (DVD): Attenberg

Die griechische Regisseurin Athina Rachel Tsangari schafft mit ihrem Film Attenberg eine Art Dokumentation über das menschliche Miteinander, genau, wie es der britische Naturforscher Sir David Attenborough mit seinen Filmen über das Verhalten der Tiere macht. Auf manchmal skurrile aber auch kritische Weise zeigt Tsangari die Annäherungsversuche einer jungen Griechin an das Thema Intimität und Sexualität...

Die junge Griechin Marina (Ariane Labed) liebt es, Tierdokumentationen der BBC von Sir David Attenborough im Fernsehen zu schauen. Aus diesen Sendungen und von den Erzählungen ihrer erfahrenen Freundin Bella (Evangelia Randou) nimmt sie all ihre Informationen über Sexualität. Denn persönlich hat die Spätzünderin keinen Kontakt zu Männern, sondern lebt alleine mit ihrem krebskranken Vater (Vangelis Mourikis). Als ein Fremder in der Stadt auftaucht, beginnt die junge Frau nach und nach, sich für den intimen Kontakt zwischen Menschen zu interessieren und möchte mehr darüber erfahren...

Das Hauptthema in diesem Film ist Sexualität. Jedoch wird es hier eher ins Nüchterne beziehungsweise ins Banale gezogen und es werden Parallelen zu tierischem Verhalten aufgezeigt. Marina vergleicht beispielsweise die Zunge ihrer Freundin mit einer Nacktschnecke. Oder Marina und der Fremde springen wie Affen auf einem Bett herum. Was also in anderen Filmen als etwas Romantisches und Selbstverständliches dargestellt wird, findet in Attenberg vielmehr Entfremdung: Marina muss sich erst intensiv mit dem Thema auseinandersetzen und sich langsam damit anfreunden. Dabei rutschen diese Annäherungsversuche nicht ins Kitschige, sondern bleiben harsch, abrupt und unbeholfen.

Man kann sagen, dass Tsangari mit Attenberg keinen herkömmlichen Film inszeniert hat. Die konventionelle Auflösung von Gesprächsszenen in einem Film zum Beispiel ist das sogenannte Schuss-Gegenschuss-Verfahren, bei dem abwechselnd von den sich unterhaltenden Personen Nahaufnahmen gezeigt werden, damit der Eindruck eines dynamischen Gesprächs entsteht. Dabei schauen die Figuren meist knapp an der Kamera vorbei, um den Zuschauer nicht in das Geschehen einzubinden, ihn aber trotzdem zur Identifikation anzuregen. Von dieser vom klassischen Hollywood entwickelten Regel weicht Tsangari komplett ab. Stattdessen zeigt sie ihre Figuren bei Gesprächen zum Beispiel im Profil oder einzeln frontal zur Kamera blickend. Dadurch entsteht ein dokumentarischer oder statischer Eindruck. Hinzu kommt, dass die Kamera an sich ebenfalls sehr statisch wirkt, es gibt kaum Schwenks oder Handkameras, sondern die einzelnen Szenen kommen mit sehr wenigen verschiedenen Kameraeinstellungen aus, meist bestehen sie sogar aus nur einer Einstellung. Auf diese Weise wirken die Personen fast wie Theaterschauspieler auf einer Bühne oder Puppen, die sich auf Kommando emotionslos hin- und herbewegen.

Auffällig ist zudem, dass es bis auf eine Ausnahme, keine non-diegetische Musik in dem Film gibt, also keinen Soundtrack (bereits publizierte Musik, die für den Film verwendet wird) oder Score (für den Film komponierte Musik). Das bedeutet, dass jede Musik, die man hört, nur durch Aktionen innerhalb des Filmes motiviert ist, beispielsweise durch ein Radio, das von einer Figur eingeschaltet wird. Dies vermittelt den Eindruck, dass man in dem Geschehen dabei ist, es wirkt natürlicher.

Insgesamt lässt Tsangari ihre Figuren verhältnismäßig wenig sprechen und wenn, dann in ihrer Muttersprache. Viele Einstellungen bleiben auch einfach unkommentiert und somit bleibt dem Zuschauer viel Freiraum für Interpretationen. Beispielsweise werden ohne scheinbaren Zusammenhang Szenen der zwei jungen Frauen gezeigt, die immer und immer wieder einen Weg entlang spazieren, jedoch jedes Mal auf eine andere befremdliche Weise.

Zudem gibt es wenige und unspezifische Schauplätze, dadurch sind keine Erklärungen nötig, wo man sich gerade befindet, sondern man erkennt die Orte wieder. So kann die Regisseurin auch nur Nahaufnahmen der Protagonistin zeigen, ohne vorher mithilfe eines konventionellen Establishing Shots (Anfangseinstellung, meist Totale, die den Ort des Geschehens zeigt) die Szene einleiten. Dadurch verlieren die Orte an sich an individuellem Wert, es handelt sich zum Beispiel nur um irgendein Wartezimmer oder irgendein Hotelzimmer. Im Mittelpunkt stehen so die Figuren, die in diesen Räumen agieren.

Als Bonus enthält die DVD den Kinotrailer und ein zehnminütiges Interview mit der Regisseurin, das sehr hilfreich für das Verständnis ihres Filmes Attenberg ist.

Fazit

Auch wenn kleine Seitenhiebe die Geschichte etwas auflockern, sollte man in Attenberg keine leichte Kost sehen. Das Drama erzählt teilweise skurril, teilweise kritisch von dem Erwachsenwerden einer jungen Frau und ihrer Entdeckung der Sexualität. Jedoch entlässt Tsangari den Zuschauer mit vielen offenen Fragen, mit denen er sich selbst auseinandersetzen muss.

15. März 2013, von Katharina 'Katharina S.' Späth

Attenberg (OmU)

DVD

Release23.11.2012
GenreDrama
DistributorAL!VE
Laufzeit1h 37m
DarstellerAriane Labed Evangelia Randou Vangelis Mourikis
RegieAthina Rachel Tsangari