Jacques Audiard – Meister des körperlichen Films

Regisseur Jacques Audiard gilt als Meister des harten Genrekinos und begeisterte nicht nur mit seinem Gangsterthriller EIN PROPHET (2009) sowohl Filmexperten wie auch Publikum. Für den Film erhielt er den Großen Preis der Jury in Cannes und den französischen Filmpreis César in neun Kategorien. Seine Werke zeichnen sich durch knallharten, fast schon körperlich spürbaren Realismus sowie eine ganz eigene sensible Ästhetik aus, die auch seinen neuen Film DER GESCHMACK VON ROST UND KNOCHEN (Kinostart: 10.01.2012) zu einem cineastischen Meisterwerk machen. Wir stellen das Werk und die Ausdruckswelt eines der spannendsten Regisseure unserer Zeit in einem kurzen Porträt vor.

Jacques Audiard, 1952 in Paris geboren, schrieb zunächst Drehbücher und konnte 1994 seinen ersten eigenen Film realisieren: WENN MÄNNER FALLEN hinterfragt das Thema Männerfreundschaft auf seine homoerotischen Komponenten hin. Der Film erhielt positive Kritiken und gewann drei Césars. Eine der Hauptrollen wurde mit Mathieu Kassovitz besetzt, der dem deutschen Publikum wohl vor allem durch DIE FABELHAFTE WELT DER AMÉLIE bekannt ist und der auch beim zweiten Film Audiards mitwirkte: DAS LEBEN: EINE LÜGE erzählt die Geschichte des jungen Albert, der nach dem Zweiten Weltkrieg Familiengeheimnissen auf die Spur kommt. Schon hier wird deutlich, was Audiards Filme ausmacht: der Regisseur setzt seine Mittel sparsam, aber gekonnt ein, hat einen kühlen, feststellenden Ton und erzählt gleichzeitig charmant wie bissig die Geschichte eines Antihelden, der dem Zuschauer trotz seiner Fehler sympathisch wird.

Vor seinem dritten Film befasste sich Audiard wieder erfolgreich mit dem Schreiben von Drehbüchern, bis 2001 LIPPENBEKENNTNISSE in die Kinos kam. Ein Film über den Dieb Paul, der eine Affäre mit der hörgeschädigten Sekretärin Carla hat und eine kriminelle Bande betrügt. Genauso wie sein nächster Film, DER WILDE SCHLAG MEINES HERZENS, in dem sich der musikalisch begabte Tom zwischen einer Karriere als Konzertpianist oder Krimineller entscheiden muss, wurde der Film wieder von Publikum und Kritikern gleichermaßen gelobt. Jacques Audiard gilt spätestens seit DER WILDE SCHLAG MEINES HERZENS als der Meister des französischen Thrillers, dessen Filme sich durch ungewöhnliche Charaktere und eine realistische Zeichnung der Geschichte auszeichneten.

Trotz aller positiven Resonanz auf seine Arbeiten gelang Audiard erst 2009 mit EIN PROPHET der ganz große Durchbruch. Die Geschichte des maghrebinischen Waisenjungen Malik, der im Gefängnis und mit Hilfe der korsischen Mafia zu einem einflussreichen Kriminellen wird, inszenierte Audiard düster und sehr realistisch. Das Gefängnis stellt der Regisseur hier als Metapher der Gesellschaft dar – die Menschen treten ein und aus, es gibt ein drinnen und draußen. Permanente, reiche und komplexe Spannung machen aus EIN PROPHET viel mehr als nur einen Gefängnisfilm. „Le Monde“ betitelte ihn als „Racheerzählung“ und „Erziehungsroman“.

Ganz anders als die Thriller Audiards ist sein neuester Film DER GESCHMACK VON ROST UND KNOCHEN - und dennoch trägt er die unverwechselbare Handschrift des Regisseurs. Prominent besetzt mit Marion Cotillard (LA VIE EN ROSE) und Matthias Schoenaerts (BULLHEAD) ist der Film eine ungewöhnliche „Liebesgeschichte voll von Licht und Raum“ (Audiard). Er, emotional gestört und sie, körperlich eingeschränkt, geben sich Halt in Situationen, die allein unaushaltbar wären. Was als Freundschaft beginnt, entwickelt sich zu einer besonderen Liebesgeschichte, die jedoch von einigen Schicksalsschlägen bedroht wird. Die Körper der Protagonisten werden schonungslos gezeigt, mit all ihren Makeln und ihrem Schmerz, und trotzdem, oder gerade deswegen, wird der Film zu einem berührenden Werk über zwei Menschen, die das Lieben lernen. Ab dem 10. Januar 2013 im Kino!

20. Dezember 2012, von Markus 'Markus S.' Schaffarz